- UN: Die gewandelte Rolle der UNO
- UN: Die gewandelte Rolle der UNOAls der Kalte Krieg zu Ende ging und die von ihm verursachte Zweiteilung der Welt in Ost und West sich auflöste, kehrten die Vereinten Nationen wieder auf den Spitzenplatz der Weltpolitik zurück. Bot das Jahr 1990 der UNO nicht eine neue, und diesmal sogar eine bessere Chance, die ihr bereits früher zugedachte Rolle auszufüllen, als das Jahr 1945? Wieder war ein großer, sogar sehr viel längerer, wenn auch glücklicherweise unblutiger Weltkonflikt zu Ende gegangen. Da sich die Sowjetunion aufgelöst und Russland sich infolge seiner Demokratisierung in einen Partner des Westens verwandelt hatte, war die alte Gegnerschaft verschwunden, kein weltpolitischer Konflikt in Sicht. Was lag näher, als den Vereinten Nationen jetzt den Platz zuzuweisen, den sie 1945 erhalten, aber wenig später aufgrund des Kalten Kriegs wieder eingebüßt hatten? Der amerikanische Präsident Bush prägte nicht nur den Begriff von der »Neuen Weltordnung«, sondern er übertrug darüber hinaus deren Herstellung wieder den Vereinten Nationen. Sie sollten den Frieden, der jetzt eine ganz reale Chance in der Welt erhalten hatte, organisieren.Die Vereinten Nationen im Ost-West-KonfliktZusammenarbeit hieß das neue Zauberwort. Präsident Bush gab 1991 als Leitmotiv der »Neuen Weltordnung« die Parole aus, »neue Wege der Zusammenarbeit mit den anderen Nationen zu finden, um Aggression abzuschrecken und Stabilität, Wohlstand und vor allem Frieden zu erreichen«. Mit dem Prinzip der Kooperation hatten die Vereinten Nationen in den vergangenen 45 Jahren schon früh gute Erfahrungen gemacht. Im Dezember 1946 hatte der Sicherheitsrat eine Untersuchungskommission nach Griechenland geschickt. UNO-Beobachter überwachten 1947 die Waffenstillstände zwischen Indonesien und den Niederlanden und seit 1948/49 zwischen Indien und Pakistan in Kaschmir. In Palästina wurde 1948 eine UNO-Gruppe beauftragt, die Einhaltung des Waffenstillstands zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten zu kontrollieren. Lag nicht in dieser Ausführungshilfe bei Friedensschlüssen und Waffenstillständen eine neue und ganz realistische Aufgabe der Vereinten Nationen?1950 hatte der Koreakrieg aber demgegenüber die Schwächen der Friedenserzwingung offen zutage gebracht. Ein gültiger Beschluss des Sicherheitsrats zum Eingreifen kam nicht zustande, weil die Sowjetunion an der entscheidenden Sitzung nicht teilnahm. Die westlichen Mächte wollten daraus taktischen Nutzen ziehen, indem sie nun auch die UNO-Generalversammlung, in der es kein Veto, wohl aber eine solide westliche Mehrheit gab, an den sicherheitspolitischen Entscheidungen beteiligten. Wenn der Sicherheitsrat blockiert war — so sah es die entsprechende Resolution vom 3. November 1950 vor — sollte die Generalversammlung der UNO Zwangsmaßnahmen zumindest empfehlen können. Das war, wie sich bald herausstellte, im Sinne der westlichen Mächte sehr kurzfristig gedacht, widersprach es doch der Entwicklung der realen Kräfteverhältnisse in dieser Welt. Fehler können aber auch Nutzen stiften: Die Generalversammlung besaß aufgrund der Charta der Vereinten Nationen nur sehr begrenzte Entscheidungsbefugnisse; es war angesichts der Selbstblockade des Sicherheitsrats jedoch so unrichtig nicht, die Generalversammlung am Friedensgeschäft zu beteiligen. Dazu musste die Handlungsbasis der Vereinten Nationen jedoch vom Prinzip der Erzwingung des Friedens auf die einvernehmliche Herstellung und Sicherung des Friedens umgestellt werden. Unter diesen Bedingungen konnte die Generalversammlung in der Tat gute Dienste leisten. Die Gelegenheit, in diesem Sinne die satzungsgemäßen Rechte des Sicherheitsrats mit den politischen Möglichkeiten der Generalversammlung zu verbinden, ergab sich 1956, als in der Suezkrise ausgerechnet Großbritannien und Frankreich, zwei ständige Mitglieder des Sicherheitsrats aus dem westlichen Bereich, zu Friedensstörern geworden waren und den Sicherheitsrat blockierten. Sollte die Generalversammlung gegen diese Mächte zu Felde ziehen? Nein, aber sie konnte die beiden Westmächte politisch dazu drängen, sich wieder aus dem Krieg zurückzuziehen. Die Generalversammlung forderte in diesem Sinne die kämpfenden Parteien zum Waffenstillstand und zur Wiederherstellung des Status quo auf und beauftragte sodann den Generalsekretär der Vereinten Nationen, eine UNO-Truppe in die Kampfzone zu entsenden, um dort für die Einhaltung des Waffenstillstands zu sorgen.Richtlinien für FriedenssicherungDamit war die Idee der Friedenssicherung geboren, die in der folgenden Zeit vom damaligen UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld entwickelt wurde. Die von ihm aufgestellten Richtlinien gelten noch heute. Danach darf eine Friedenssicherungstruppe der Vereinten Nationen nur mit Zustimmung des betreffenden Staats oder der Kampfparteien eingesetzt werden; sie darf nur vorübergehend und nicht auf Dauer eingerichtet, nicht von Soldaten der ständigen Sicherheitsratsmitglieder und nicht von solchen »interessierter« Staaten gebildet und niemals von einem Land, sondern nur von den Vereinten Nationen selbst organisiert werden. Waffen darf eine Friedenstruppe nur zur Selbstverteidigung benutzen.Eine solche Friedenssicherung als gewaltfreie, die Kampfparteien nicht bezwingende, sondern ihre Zustimmung voraussetzende Intervention der Vereinten Nationen zur allseitigen Gewährleistung eines Waffenstillstands, während dessen die Parteien nach einer Lösung des Konflikts suchen konnten — das war das große Novum in der Entwicklung der Vereinten Nationen. Sie war in ihrer Charta nicht vorgesehen, modernisierte aber deren Verständnis und aktivierte vor allem deren Anwendung. War die Welt noch nicht so weit entwickelt, dass sie schon eine Weltregierung mit Sanktionskompetenz vertrug, so waren ihre inneren Abhängigkeiten und ihr Kon- sens über den Gewaltverzicht groß genug, um der UNO eine Hilfsmöglichkeit bei der Kriegsbeendigung und der Herstellung von Frieden abzuverlangen. Weil die Vorgehensweise der UNO nicht auf Zwang, sondern auf Zustimmung beruht, wird die Souveränität der miteinander streitenden Mitgliedsländer nicht beschädigt. Da sie keine Gewalt anwenden, wirken die Vereinten Nationen nicht als Weltregierung, nicht als Weltpolizist, nicht einmal als Schiedsmann, sondern als »Sozialhelfer« mit starken Armen. Tatkräftige Hilfe ist das Prinzip der Friedenssicherung; sie soll es den Konfliktparteien ermöglichen und erleichtern, ihre Auseinandersetzung gewaltfrei zu bearbeiten.Nobelpreis für die FriedenssicherungDas neue Konzept der Friedenssicherung, das heißt besonders die Entsendung von UNO-Truppen — wegen der Farbe ihres Helmes auch Blauhelme genannt — nach vorheriger Vereinbarung der UNO mit den streitenden Parteien, erwies sich als ein weltpolitischer Hit. In dem Maße, in dem Ost und West in ihrem Konflikt erlahmten, in dem Maße, in dem vor allem die Sowjetunion sich aus ihren umstrittenen weltpolitischen Unternehmungen, zum Beispiel aus Afghanistan, zurückziehen musste, in dem Maße wuchs der Bedarf an nachsorgender Hilfestellung der Vereinten Nationen. Sie vermittelten 1988 ein Abkommen über den Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan, wo anschließend bis März 1990 eine UNO-Mission tätig war. Die Vereinten Nationen halfen bei der Beendigung des 1. Golfkriegs zwischen Iran und Irak und stationierten von 1988 bis 1991 eine militärische Beobachtergruppe in beiden Ländern. Für beide Beiträge erhielten die Blauhelme den Friedensnobelpreis.UNO-Truppen garantierten von 1989 bis 1991 den Abzug der Kubaner aus Angola und trugen damit dazu bei, dass sich dort der amerikanische und der sowjetische Einfluss verminderten. Seit 1992 sichert in Angola eine weitere Verifikationstruppe den Waffenstillstand zwischen der Regierung und der Rebellenorganisation UNITA. Blauhelme überwachten zwischen 1991 und 1995 in El Salvador die Einhaltung des Friedensabkommens von 1992 zwischen den Bürgerkriegsparteien und die Durchführung von Wahlen im April 1994. UNO-Missionen halfen in Nicaragua, in der Westsahara und auf Haiti bei der Realisierung unterschiedlicher friedenspolitischer Beschlüsse.Hilfe in BürgerkriegenVon 1946 bis 1996 haben die Vereinten Nationen 42 friedenserhaltende Missionen unternommen. Sie häuften sich vor allem ab 1988. Dabei änderte sich auch die Art der Aufgabenstellung. Ging es zunächst — wie noch heute im Nahen Osten — um die Sicherung des zwischenstaatlichen Friedens, so wurden die Vereinten Nationen ab 1988 immer mehr um Hilfe bei innerstaatlichen Konflikten gebeten. Der sich rückbildende Ost-West-Konflikt hatte zahlreiche Staaten im Bannkreis der Supermächte destabilisiert; die Gesellschaften dieser politisch abhängigen Länder revoltierten gegen ihre Herrschaften, die sie so lange hatten ertragen müssen. Das war auch in Somalia und Moçambique der Fall, wo die Vereinten Nationen 1992 eingreifen mussten. In Ruanda und Uganda suchten sie ab 1993 innenpolitische Konflikte zu schlichten, freilich zu spät. Ihre größte Aufgabe stellte sich in Kambodscha, wo sie vorübergehend sogar die Regierungsgewalt übernahmen und eine Koalitionsregierung installierten, die bis zum Putsch durch einen der Koalitionäre, Hun Sen, 1997 hielt.Die Hilfeleistung für »zerfallende Staaten« enthält eine Herausforderung, die die Vereinten Nationen eigentlich kaum leisten können. Ihr eigentliches Aufgabengebiet ist die zwischenstaatliche Vermittlung, nicht die innerstaatliche. Sie sollen den Frieden zwischen den Staaten herbeiführen und sichern, also den Krieg im traditionellen Sinn des Worts unterbinden. Für den Bürgerkrieg, ein innerstaatliches Ereignis, sind sie weder zuständig noch kompetent. Es fehlen zudem entsprechende politische Mittel. Der Bürgerkrieg ist jedoch der vorherrschende Gewalttyp nach dem Ende des Ost-West-Konflikts geworden. Alle Kriege des Jahres 1996 waren Kriege dieser Art; denn die internationalen Konflikte wurden durchweg gewaltfrei ausgetragen. Auf diesen Erscheinungswandel der Gewalt im internationalen System müssen sich die Vereinten Nationen erst einstellen. Das wird ihnen umso schwerer fallen, als die Grundlage der Friedenssicherung, Konsens und Zustimmung der Betroffenen, in einer Bürgerkriegssituation gerade nicht vorhanden ist. Keine der beteiligten Parteien verfügt über die Autorität, überhaupt einen Konsens zu formulieren. Wie sollen sich die Vereinten Nationen in solchen Fällen verhalten? Sollen sie sich mit Gewalt als Übergangsregierung einsetzen, wie sie es in Somalia taten und scheiterten? Sollen sie den Bürgerkrieg sich selbst überlassen, wie sie es in Bosnien und Herzegowina taten und scheiterten? Oder sollen sie sich überhaupt heraushalten wie in Burundi und Zaire (heute Demokratische Republik Kongo), was zwar ihr Gesicht wahrte, aber den Betroffenen nicht nützte?Die UNO und der 2. GolfkriegDer 2. Golfkrieg leitete insofern eine Akzentverschiebung ein, als er den Zwangsmaßnahmen des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen neue Geltung zu verleihen schien. Der Überfall Iraks auf Kuwait 1990 bildete den klassischen Fall eines zwischenstaatlichen Friedensbruchs durch einen Aggressor, also den Idealfall für die Anwendung des Kapitels VII dieser Charta. In diesem Falle konnte das in ihr verankerte Konzept der Krisenbewältigung greifen, weil es sich nicht um Maßnahmen gegen eine Großmacht, sondern gegen einen kleinen Staat handelte und unter den Großmächten Einigkeit bestand: Irak hatte Kuwait überraschend überfallen; wenn der Aggressor der Aufforderung zum Rückzug nicht nachkam, war die Gewaltanwendung, wie sie im Kapitel VII der UNO-Charta vorgesehen war, rechtens und angemessen.Der UNO-Sicherheitsrat handelte nun in der beschriebenen Weise, übernahm dann aber interessanterweise nicht selbst die Militäraktion, sondern autorisierte mit seiner Entschließung 678 vom 29. November 1990 »die Mitgliedsstaaten, die mit der Regierung von Kuwait kooperieren«, dazu. Dann verschwanden die Vereinten Nationen von der Bildfläche. An der »Operation Wüstensturm«, einer Mächtekoalition unter Führung der USA, waren sie nicht beteiligt. Sie wurden erst wieder aktiv — genauer gesagt: aktiviert —, nachdem Irak besiegt und der Waffenstillstand abgeschlossen war. Der 2. Golfkrieg fand weder unter der Kontrolle noch unter der Anleitung der Vereinten Nationen statt; die in Irak operierenden Truppen durften demzufolge nicht die Flagge der Vereinten Nationen führen.Das Prinzip der Souveränität, das hier wieder zum Tragen gekommen war, hatte es nicht zugelassen, dass die Entscheidungsfreiheit der Großmächte in einer Sache, die den Einsatz ihrer Streitkräfte betraf, auch nur im Geringsten beeinträchtigt wurde. Zwar hätten die USA im Rahmen der UNO die gleiche Führungsrolle spielen können wie im Rahmen der Koalition; aber sie hätten bei allen relevanten Entscheidungen nicht nur in den befreundeten Hauptstädten, sondern im UNO-Sicherheitsrat rückfragen und dort die Meinung auch der Ratsmitglieder einholen müssen, die an der Aktion nicht teilnehmen wollten oder konnten, zum Beispiel Russland, das die Aktion unterstützte, aber keine Truppen schickte, oder China, das sich der Stimme enthalten hatte, und vier der zehn nichtständigen Mitglieder dieses Gremiums, die dort zu einer Mehrheit erforderlich waren. Dieser Prozedur wollte sich kein Mitglied der Koalition unterwerfen, schon gar nicht die Weltführungsmacht USA. Sie blieben bei ihrem Standpunkt, dass die Unterstellung ihrer Truppen unter das politische Oberkommando des Sicherheitsrats mit dem Prinzip der Souveränität unvereinbar sei und bekräftigten diese Meinung nach dem Ende des Golfkriegs noch. Kein Mitglied der Vereinten Nationen ist bereit, auch die Bundesrepublik Deutschland nicht, seine Truppen dem Sicherheitsrat zu unterstellen; keines von ihnen denkt daran, dem Generalsekretär eine Bereitschaftstruppe für den Notfall zur Verfügung zu stellen.Die Sanktionskompetenz des Sicherheitsrats, die ihm im Kapitel VII der UNO-Charta gegeben worden ist — so muss man bilanzierend feststellen — scheitert am Prinzip der staatlichen Souveränität. Diese Kompetenz ist deswegen aber nicht wertlos geworden: Sie dient als Quelle der Legitimierung von Gewalt, sie wurde sogar noch ausgeweitet: Mit der Resolution 688 vom 5. April 1991 stellte der Sicherheitsrat die Kurdenverfolgung in Irak, eine innerstaatliche Angelegenheit, als »Bedrohung des Weltfriedens« unter Strafandrohung. Damit wurde erstmals ein Weg eröffnet, der es den Vereinten Nationen ermöglicht, die Innenpolitik der Staaten zu beurteilen und zu sanktionieren. Aber die von ihm legitimierte Gewalt selbst einzusetzen, blieb dem Sicherheitsrat verwehrt. Das nahmen vielmehr die Staaten selbst in die Hand. Eine solche Patentlösung entsprach gewiss nicht dem Geist von San Francisco, den Vorstellungen der Gründungsversammlung der UNO, wohl aber der Realität von New York, wo die aktuellen Entscheidungen der UNO getroffen werden. Das Gewaltmonopol des Rats wurde zu einem Ermächtigungsrecht verkleinert, von dem jeder Staat, wenn er wollte und konnte, Gebrauch machen durfte. Nur ein bisschen drapiert, war auf diese Weise das Verfahren des Konzerts der europäischen Großmächte aus dem 19. Jahrhundert wiedergekehrt.UNO-Einsatz in Somalia und in Bosnien und HerzegowinaDer große Erfolg, den der Gewalteinsatz im 2. Golfkrieg erzielte, schlug auch auf das Verständnis der Friedenssicherungsaktionen durch. Konnte man sie nicht doch mit Gewalt ausstatten, selbst wenn das den Grundsätzen von 1956 widersprach? Dieser Versuchung erlagen die Vereinten Nationen, als sie 1992/93 in Somalia ihre Friedenssicherungsmission in eine Friedenserzwingungsaktion umfunktionierten. Die eingesetzten Truppenkontingente sollten als Quasi-Regierung in Somalia fungieren und ein sicheres Umfeld für die humanitäre Hilfe und den politischen Wiederaufbau herstellen. Das ging gründlich schief. Die UNO-Truppe, gerade auch ihr amerikanischer Bestandteil, geriet zwischen die Räder des somalischen Bürgerkriegs und kostete 97 UNO-Soldaten, darunter 26 Amerikanern, das Leben, ohne etwas auszurichten.Das konnte eigentlich niemanden überraschen, der den amerikanischen Gewalteinsatz in Vietnam und den russischen in Afghanistan auch nur oberflächlich studiert hatte. Bürgerkriege lassen sich durch militärischen Gewalteinsatz von außen weder beenden noch steuern. Verwundern muss vielmehr die Leichtherzigkeit, mit der sich sowohl der Sicherheitsrat wie der Generalsekretär der Vereinten Nationen, aber eben auch die den Kampfeinsatz vorrangig betreibenden Amerikaner in das Abenteuer stürzten. Sie werden es in absehbarer Zeit so nicht wiederholen. Die Vereinten Nationen können in Bürgerkriegen den Friedensschluss nicht erzwingen, sondern ihn nur, wenn er zwischen den Parteien erfolgt ist, absichern. Diese Lehre musste in Somalia erneut gelernt werden. Sie geriet aber, wie der Gewalteinsatz der NATO gegen Jugoslawien 1999 zeigte, alsbald wieder in Vergessenheit.Die Vereinten Nationen können aber den Frieden nicht gewaltlos sichern, wenn die Bürgerkriegsparteien nicht von selbst und auf Dauer auf Gewalt verzichten. Dieses Problem stellte sich in Bosnien und Herzegowina, wo die UNO-Schutztruppe seit März 1992 dem wechselseitigen Völkermord Einhalt zu bieten versuchte. Sie hielt sich an das 1956 aufgestellte Prinzip der Gewaltfreiheit. So musste sie untätig zusehen, wie unter ihren Augen der Bürgerkrieg weiterging. Das war nicht hinzunehmen. Gab es nicht einen Ausweg? Schon lange war in den Vereinten Nationen darüber nachgedacht worden, ob die Gewaltfreiheit nicht durch eine robustere Friedenssicherung ersetzt werden sollte, bei der die UNO-Truppe auch Gewalt einsetzen konnte, um die Einhaltung der Verabredungen zu erzwingen.Das wäre eine mittlere Linie gewesen. Sie hätte sich am Konsens der Konfliktparteien orientiert, also den Fehler des UNO-Einsatzes in Somalia vermieden. Sie hätte, andererseits, die Verletzung verabredeter Waffenstillstände wie in Bosnien und Herzegowina ebenso wenig hingenommen wie die zahlreichen Heckenschützen und Massaker. Ein solcher Gewalteinsatz hätte dem Typ nach immer noch der Friedenssicherung zugerechnet werden müssen, weil er nur die eigenen Beschlüsse der Streitenden durchsetzte. Er wäre aber zugleich über die Richtlinien von 1956 hinausgegangen, indem er auch Gewalt anwendete. Der UNO eine solche Kompetenz zu geben, waren die ständigen Sicherheitsratsmitglieder offensichtlich nicht bereit. Sie beließen den Auftrag und die Ausstattung der UNO-Blauhelmtruppen in jenem bescheidenen, nahezu waffenlosen Umfang, der für das klassische peace keeping ausreichte, aber unter den Bürgerkriegsbedingungen von Bosnien und Herzegowina klar versagte.Der Einsatz von NATO-TruppenEs kann nicht ausgeschlossen werden, dass einige Westmächte dieses Scheitern der UNO in Bosnien und Herzegowina nur zu gern in Kauf nahmen. Es kam ihrem Interesse entgegen, den Vereinten Nationen auch das Monopol der Friedenssicherung zu nehmen. Wie im 2. Golfkrieg die Koalition, so meldete sich zu diesem Zweck in Bosnien und Herzegowina die NATO zur Stelle.Der amerikanische Präsident Clinton war klug genug, den Fehler von Somalia zu vermeiden. Er ließ zunächst einmal die Bürgerkriegsparteien im ehemaligen Jugoslawien einen Frieden schließen, der am 21. November 1995 in Dayton, Ohio, paraphiert wurde. Dann wurde die 1992 eingerichtete UNO-Mission aufgelöst und die Sicherung des Daytonabkommens einer schwer bewaffneten NATO-Truppe übertragen, die, mit einem Mandat des UNO-Sicherheitsrats versehen, seitdem für die Einhaltung des Friedensabkommens sorgen soll. Die Ersetzung der Blauhelme durch NATO-Truppen in Bosnien und Herzegowina könnte sich sehr wohl als das Friedenssicherungsmodell der Zukunft erweisen. Wo es den Westen interessiert und wo er sich engagiert, greift er mit einem Mandat des Sicherheitsrats ein. Wo er sich enthält, findet Friedenssicherung nicht statt. Ihr Umfang geht jedenfalls zurück. 1994 hatten die Vereinten Nationen 80000 Blauhelme im Dienst und ein Budget von 3,3 Milliarden Dollar; 1997 waren es nur noch 23000 Soldaten, für die nur noch 1,3 Milliarden Dollar zur Verfügung standen. Obwohl die Konflikte in Afghanistan und Algerien, in Somalia und Sudan, in Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo eine Friedenssicherungsaktion der UNO dringend gebrauchen könnten, ist diese nicht mehr im Gespräch. Es gibt kein Interesse und daher auch kein Geld.Von der »Neuen Weltordnung« ist nicht mehr die Rede, und daher wird auch von den Vereinten Nationen sehr viel weniger gesprochen. Die USA dringen darauf, dass sich die Organisation reformiert, in anderen Worten: verkleinert. Der frühere Generalsekretär Boutros Boutros Ghali musste gehen, weil er für die Weltorganisation einen Platz beanspruchte, den ihr die Weltmacht USA nicht einräumen wollte. Sie steht damit nicht allein. Kein westlicher Industriestaat räumt dem Sicherheitsrat noch das Gewaltmonopol ein. Vielmehr verstärkt sich unter diesen die Tendenz, zumindest im Kollektiv der NATO das Verbot der Gewalt abzustreifen und diese wieder in die eigene Hand zu nehmen. Die NATO sieht sich demnach als gleichberechtigte Partnerin der UNO, übersieht (oder unterschlägt) dabei aber den grundlegenden Unterschied zwischen einer Organisation kollektiver Verteidigung und einer Organisation kollektiver Sicherheit. Mit dem Beschluss, am 24. März 1999 ohne UNO-Mandat und ohne Berücksichtigung des Gewaltverbots, das in der UNO-Charta enthalten ist, Jugoslawien militärisch zur Aufgabe seiner gewalttätigen Kosovopolitik zu zwingen, setzte die NATO ihr neues Selbstverständnis erstmals in politische Praxis um. Allerdings schwoll die internationale Kritik an diesem Regelverstoß bis zum Sommer 1999 derart an, dass ein UNO-Mandat wieder in Erwägung gezogen wurde. Gegenüber Irak hingegen verstanden sich die USA (und Großbritannien), wie ihre Bombenangriffe seit Dezember 1998 zeigten, nach wie vor als eigenmächtiges Ausführungsorgan der UNO.Das muss nicht das Ende der Blauhelme bedeuten und schon gar nicht das der UNO. Auch die USA werden wieder lernen, dass sich ohne die Vereinten Nationen die Weltpolitik nicht steuern lässt, auch die NATO ist dazu nicht imstande. In den demokratisch bestimmten Gesellschaften von heute, in denen die Zustimmung der Bevölkerung mindestens ebenso wichtig ist wie das Nicken der Diplomaten, lässt sich mit Kanonenbooten keine Politik mehr betreiben. Der Versuch des Westens, die Vereinten Nationen nur noch mit ihren funktionalen Aufgaben (z. B. Umweltschutz, Drogenbekämpfung) zu beschäftigen, wird daher kaum Zukunft haben, auch wenn er die letzten Jahre des 20. Jahrhunderts charakterisiert.Prof. Dr. Ernst-Otto CzempielGrundlegende Informationen finden Sie unter:UN: Die Gründung der Vereinten NationenBardehle, Peter: Internationale Konsensbildung. UN-Peacekeeping als Musterfall für internationalen Konsens und seine Entstehung. Baden-Baden 1991.Die Blauhelme. Im Einsatz für den Frieden, herausgegeben von Ernst Koch. Frankfurt am Main u. a. 1991.Blauhelme in einer turbulenten Welt. Beiträge internationaler Experten zur Fortentwicklung des Völkerrechts und der Vereinten Nationen, bearbeitet von Winrich Kühne. Baden-Baden 1993.The blue helmets. A review of United Nations peace-keeping. New York 31996.Friedensengel im Kampfanzug? Zu Theorie und Praxis militärischer UN-Einsätze, herausgegeben von Georg-Maria Meyer. Opladen 1996.Hahlbohm, Dörte: Peacekeeping im Wandel. Die friedenssichernden Einsätze der Vereinten Nationen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Frankfurt am Main u. a. 1993.Hufnagel, Frank-Erich: UN-Friedensoperationen der zweiten Generation. Vom Puffer zur Neuen Treuhand. Berlin 1996.UN-Friedenssicherung 1985-1995. Analyse und Bibliographie, bearbeitet von Hans-Georg Ehrhart und Konrad Klingenburg. Baden-Baden 1996.
Universal-Lexikon. 2012.